Zurück zum Europäischen Arzneibuch: Wer legt diese Kriterien überhaupt fest und für wen gelten sie?
Die Europäische Arzneibuch-Kommission ist ein Organ des Europarates, welches sich aus Experten der einzelnen nationalen Delegationen zusammensetzt. Sie definiert die
Standards für die Herstellung von Arzneimitteln in den Mitgliedsländern. Beim Europäischen Arzneibuch handelt es sich um eine Sammlung sogenannter Monografien, also Steckbriefe der einzelnen Pflanzen. In diesen wird genau festgehalten, welche Prüfungen durchgeführt werden müssen, um beispielsweise die
Eignung einer Pflanze für die Heilanwendung zu garantieren. Diese Vorgaben gelten für alle Pharmaunternehmen und nicht nur Arzneipflanzen, sondern auch chemische Stoffe sind in
Monografien beschrieben. Im Lebensmittelbereich herrschen im Gegensatz dazu andere Standards vor. Dort geht es in erster Linie um die Sicherheit der Konsumenten. Dieser Aspekt spielt selbstverständlich auch bei Arzneimitteln eine zentrale Rolle, die Anforderungen gehen aber wesentlich darüber hinaus.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Pfefferminztee wird im Allgemeinen oft und gerne getrunken. Obwohl Arzneitees aus Pfefferminzblättern unter anderem bei Verdauungsstörungen eingesetzt werden, handelt es sich beim überwiegenden Teil der Pfefferminztees um einfache Lebensmittel. In diesem Bereich ist das
Aroma ein wesentliches Kriterium. Damit der Tee tatsächlich nach Pfefferminze schmeckt, ist ein Anteil an ätherischen Ölen von 0,6 % vorgeschrieben. Beim Arzneitee hingegen steht die
Wirkung im Vordergrund. Daher liegt der gesetzlich festgelegte Mindestgehalt an ätherischem Öl bei Pfefferminztee in Arzneibuchqualität bei mindestens 1,2 % in den ganzen und 0,9 % in den geschnittenen Blättern. Wenn es um die Wirksamkeit von Heilpflanzen geht, kann diese nur durch die
Anforderungen des Arzneibuches gewährleistet werden.
Das ätherische Öl entscheidet also darüber, wie wirksam eine Arzneidroge ist?
Bei der Pfefferminze gilt das ätherische Öl als der
wirkungsbestimmende Inhaltsstoff. Das ist in der entsprechenden Monografie so festgelegt. Jedoch lässt sich das nicht pauschal für alle Kräuter behaupten, die Anforderungen unterscheiden sich von Pflanze zu Pflanze. Bei der
Melisse galt früher der Gehalt an ätherischem Öl als für die Wirkung maßgeblich. Dann hat sich herausgestellt, dass die
Rosmarinsäure – die nicht im ätherischen Öl enthalten ist – von mindestens ebenso entscheidender medizinischer Bedeutung ist. Das Wunderbare an Heilpflanzen ist, dass ihre Wirkung sich oft aus dem
Zusammenspiel vieler Komponenten ergibt und man
keinen einzelnen Stoff oder eine Stoffgruppe allein dafür verantwortlich machen kann. Und dann gibt es nach wie vor noch einige Pflanzen, bei denen die Wirkmechanismen bis heute nicht vollends bekannt sind.
Die Standards, denen die Kräuter gerecht werden müssen, sind sehr hoch. Wo findet man Pflanzen, die diesen Kriterien entsprechen? Muss man sie gezielt anbauen?
Einige Kräuter müssen wild gesammelt werden, weil sich der Anbau für die Landwirte aufgrund der geringen Nachfrage nicht rentiert. Andere wiederum müssen angebaut werden, um den großen Bedarf abzudecken. In beiden Fällen ist es wichtig, mit
erfahrenen Partnern zusammenzuarbeiten. Beim Anbau von Heilpflanzen müssen zum Beispiel im Hinblick auf den Zeitpunkt der Ernte die Vorgaben des Arzneibuchs berücksichtigt werden. Gleichermaßen erfordert das Sammeln wild wachsender Kräuter Erfahrung und Expertise. Um den
Bestand zu erhalten, ist nachhaltiges und sorgsames Vorgehen gefragt.
Herr Dr. Vendl, vielen Dank für das Gespräch!